Lichtung

Geräuschtheater von und mit Martin Heidegger

”Nur noch ein Gott kann uns retten”. So beantwortete Martin Heidegger 1966 in einem Interview die Frage, wie mit den Herausforderungen moderner Technik umzugehen sei. Heute, 50 Jahre später, hat uns noch immer kein Gott gerettet und Heideggers Gedanken sind aktueller denn je.

Die Produktion von O-Team erzählt die Geschichte zweier Wartender inmitten einer technisierten Welt. Eine Frau und ein Mann sitzen in ihrer Küche und vertreiben sich die Zeit. Mit allerlei gefundenen Küchen-Utensilien spielen sie den Kultfilm „Koyaanisqatsi“ nach. Bis sie auf einen Haufen Kabel stoßen, die in die Mitte einer unheimlichen Apparatur führen…

„Lichtung“ ist eine musikbasierte Performance für zwei Menschen und eine Maschine: die Suche zweier Darsteller nach unserem Dasein zwischen Natur und Technik; das Aufeinandertreffen eines Schauspielers und einer Puppenspielerin mit den Mikrofonen und Sensoren eines Modularsynthesizers; ein non-verbaler szenischer Dialog mit den Mitteln der Musique Concrète; eine akustische Reise auf den verschlungenen Pfaden von Heideggers Denken und Sprechen.

Überraschende Wendungen sind das Bauprinzip dieser Aufführung. Zweifel bleiben auch bei der Beantwortung der Frage, ob die Erkundungen der O-Team-Leute im Spannungsfeld zwischen Stille und Klangsinfonie, zwischen Pantomime und philosophischem Dialog wirklich bis ins Letzte durchdacht und ausgeklügelt sind, oder ob sie nicht vielleicht doch vor allem ein großer Theaterspaß sind.“ Begründung der Kritikerjury, 6 Tage frei

Spiel: Antje Töpfer und Folkert Dücker

Regie: Samuel Hof, Ausstattung: Nina Malotta, Musik: Markus Birkle, Dramaturgie: Jonas Zipf, Sound/Video: Pedro Pinto und Nils Meisel, Produktion/Grafik: Markus Niessner

Premiere: 17.04.2014 im FITZ! Stuttgart

weitere Vorstellungen: Ampere Festival, Theater Rampe, Stuttgart, Stuttgarter Theaterpreis, Ost Stuttgart, Internationales Figurentheaterfestival, Erlangen, Sophiensale, Berlin, Schwere Reiter, München, Unidram Potsdam

In Zusammenarbeit mit FITZ! – Zentrum für Figurentheater Stuttgart und Figurentheater Antje Töpfer | Gefördert durch die Stadt Stuttgart, den Landesverband Freier Theater Baden-Württemberg e. V. aus Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg und den Fonds Darstellende Künste

Presse:

Begründung der Kritikerjury - 6 TAGE FREI
(Sophie Diesselhorst von nachtkritik.de, Otto Paul Burkhardt von Theater der Zeit und Wolfgang Höbel vom Spiegel)

Zwei Menschen sitzen in einer vollverkabelten Zivilisation fest und warten auf metaphysische Erhellung. Mit dieser Versuchsanordnung erzeugt das Theater von O-Team in „Lichtung“ eine zunächst stumme und gegen Ende plötzlich sehr geschwätzige Wucht. Es ist ein Spiel mit den technikkritischen und naturbeschwörerischen Diskursen des Großdenkers Martin Heidegger, das hier stattfindet und dem Zuschauer Denkarbeit aufgibt. Wobei dieses Spiel dem Zuschauer auch die Entscheidung überlässt, ob er das Ganze nun als Heidegger-Verherrlichung oder als Heidegger-Kritik verstehen will.

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Überhaupt können sich die Besucher von „Lichtung“ nie sicher sein. Überraschende Wendungen sind das Bauprinzip dieser Aufführung. Zweifel bleiben auch bei der Beantwortung der Frage, ob die Erkundungen der O-Team-Leute im Spannungsfeld zwischen Stille und Klangsinfonie, zwischen Pantomime und philosophischem Dialog wirklich bis ins Letzte durchdacht und ausgeklügelt sind, oder ob sie nicht vielleicht doch vor allem ein großer Theaterspaß sind.
Die Jury jedenfalls glaubt in „Lichtung“ ein Beispiel dafür zu erkennen, welchen Witz und welche Kraft das Freie Theater nach wie vor entfalten kann, und welche schöne Vieldeutigkeit. Für dieses Restgeheimnis steht der lila Vorhang, der am Ende von „Lichtung“ nach einem Waschgang in der Waschmaschine wieder aufgehängt und zugezogen wird.

Stuttgarter Zeitung, von Cord Beintmann, 19.04.2014
[...] Es ist unglaublich, dass es in „Lichtung“ gelingt, Heideggers Gedanken mit ganz konkretem Bühnenhandeln zu illustrieren. „Wir müssen den Ursprung finden“, raunt der Philosoph im Text über der Bühne. Genau das versuchen die beiden in der Küche. Sie wollen wissen. woher die Töne kommen und demontieren radikal das Mobiliar.
Dabei lösen sie eine Wandplatte, und nun schiebt sich langsam ein Wahnsinnsgerät in den Raum. Es ist ein mit Kabeln und blinkenden Lämpchen gespickter, so genannter Modularsynthesizer, der alle möglichen Töne und Klänge produziert. Markus Birkle (Musik), Pedro W. Pinto und Nils Meisel (Sound) erzeugen während des gesamten Stückes live eine raffinierte und mitreißende Klangcollage.
Ein Heidegger-Foto erscheint kurz im Fenster der Mikrowelle, zu hören ist sein Text „Der Feldweg“, aus dem er selber mit salbungsvoller Stimme liest. Es geht um Technikkritik. Dazu schlagen sich Dücker und Töpfer auf der Bühne mit Technik herum. Dann projizieren sie alles Mögliche auf die hintere Bühnenwand, kleine Dinge1 die groß erscheinen. So wird ein durchlöcherter Plastikbehälter in der Projektion zum Hochhaus.
Man bekommt in dieser Aufführung ein Gefühl für die Banalität der Dinge, zugleich aber wird auch das Bedrohliche und Unheimliche einer Welt der Apparate anschaulich in Bilder gesetzt. Am Ende beginnt das Paar miteinander zu reden. Es ist ein Dialog von Heidegger aus seinen „Feldweggesprächen“. Diese hochphilosophische Konversation ist stellenweise wunderbar komisch. Das 0-Team hat Heideggers angestrengten Ton und heutige Bühnenästhetik bravourös und schön ironisch verbandelt.

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Samuel Hof - Regisseur & Bühnenbildner