Ich bedanke mich für alles

von Prem Kavi

2012 soll bekanntlich die Welt untergehen. Da stellt sich die Frage auf welche Art und Weise natürlich. Und ebenso natürlich auch, was im Zusammenhang dieses Unterganges „Welt“ bedeutet. Also, wie weg das sein wird, was man kennt, ob alles weg ist, und wie wir das empfinden, wo wir uns dann befinden werden.

Die Szenerie: Eine Turnhalle. Ein Basketballkorb. Nur einer. Das ist der Unterschied. In der Halle 40 Leichensäcke. 40 Tote. 27 Männer. 9 Frauen. 4 Kinder. Die drei Varianten menschlichen Lebens sind nicht kompatibel. Absicht des Herstellers? Mit dem Hersteller haben sie es oft, die beiden Kundschafter, die offenbar in dieser Halle die Antwort auf diverse ungeklärte Fragen suchen, die Zeit vor der Katastrophe betreffend, somit die Menschheit an sich, ihre Regeln und Lebensprinzipien. „Hier bedankt man sich für alles.“ Eine Motorradfahrerin betritt das trostlose Gräberfeld. Ob sie Licht ins Dunkel bringt? Maria Magdalena. Zwischen 39 anderen Leichensäcken spielen sie die Überlieferung der Grablegung durch. Nichts ergibt Sinn. Und alles. Das Ganze lebt vom Paradoxen. Von der Absurdität. Davon, wie mit Erwartungshaltungen umgegangen, wie mit Ritualen gespielt wird. Und Rituale gibt es überall. Besonders aber da, wo das Unerklärliche den Glauben auf den Plan ruft.

Nach „Bienen“ setzt O-Team die Arbeit rund um das Thema Weltuntergang fort. Während „Bienen“ am Vorabend des 21. Dezember, also sozusagen kurz vor Ende unserer Welt spielt, spielt „Ich bedanke mich für alles“ am 22.12.2012 und begibt sich auf eine Recherche in Richtung Jenseits.

Premiere: Oktober 2012, Theaterhaus Jena
Eine Produktion von O-Team mit dem Theaterhaus Jena. In Kooperation mit dem Theaer Rampe, Stuttgart

Eingeladen zum Festival Radikal Jung

Mit Folkert Dücker, Ella Gaiser, Benjamin Mährlein und Mathias Znidarec
Text: Prem Kavi, Alexej Schipenko, und Anna Langhoff
Regie: Samuel Hof
Dramaturgie: Simon Meienreis & Jonas Zipf
Bühne/Kostüme: Nina Malotta
Sound- und Videodesign: Pedro Pinto

Presse:

Nachtkritik, 26. Oktober 2012, von Christian Baron

[...] Zwei humanoide Astronauten (Folkert Dücker und Benjamin Mährlein) betreten eine Turnhalle und entdecken vierzig sorgfältig aufgereihte Leichensäcke samt entsprechendem Inhalt. Weder erfahren die Zuschauer im Laufe der folgenden neunzig Minuten, worin die Mission der beiden besteht, noch klärt sich auf, was die später auftretende Motorradfahrerin (Ella Gaiser) hier zu suchen hat. Und schon gar nicht offenbart sich dem Publikum, was genau es mit dem plötzlich aus einem der Leichensäcke hervorkriechenden Freak (Mathias Znidarec) auf sich hat. Dafür liefern die Akteure eine zwischen ernst zu nehmender Satire und völlig wirrem Wahnwitz changierende und gerade damit amüsante Show ab, deren künstlerischer Mehrwert aber freilich nicht auf dem Silbertablett serviert wird.

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Da verortet das psychotische Maschinen-Duo etwa das Diesseits innerhalb und das Jenseits sehnsuchtsvoll außerhalb der Halle, und nur wer den ominösen Basketball im Korb versenkt, erhält Zutritt ins paradiesische Draußen. Sogar für eine gehörige Portion Kitsch ist in diesem Text Platz, wenn etwa einer der Astronauten säuselt: „Liebe ist das, was zurück bleibt, wenn jemand gestorben ist“. Gleichzeitig aber pflegen die zwei Raumreisenden einen existenzialistischen Nihilismus, der sich am schönsten in Querverweisen zeigt wie einem Dialog zwischen der weinerlichen Frau und einem der genüsslich Hähnchenkeulen verschlingenden Humanoiden, der sich unschwer als Seitenhieb auf den Gutmenschen vom Schlage eines Jonathan Safran Foer entziffern lässt: „Bist du Vegetarier?“ – „Ich esse keine getöteten Tiere“ – „Auch keine getötete Möhre? Alles ist erleuchtet. Trotzdem verspeisen sie sich. Die Erleuchteten. Einer den anderen.“
Immer dann, wenn in den rasanten Gesprächen philosophische Tiefe zu erreichen bevorsteht, wird sie sofort gebrochen und die Protagonisten nehmen entweder regen Gebrauch von den auf ihren Festplatten abgespeicherten Bibel-Zitaten, oder – was bezüglich der inhaltlichen Austauschbarkeit auf dasselbe hinausläuft – sie bedienen sich genüsslich der Fäkalsprache. Vor allem aus dem von Benjamin Mährlein famos verkörperten Hektiker brechen immer wieder in schrillem Ton abgestandene Verbalinjurien heraus wie aus einem Louis-de-Funès-Verschnitt mit Tourette- Syndrom („Leck mich am Arsch!“, „Halt die Fresse!“, „Die Ficker ficken uns!“). Und Mathias Znidarec gibt nach seiner Auferstehung aus dem Sack den sich selbst für die heilige Dreifaltigkeit haltenden Sonderling derart drollig, dass er in seinem goldenen Slip wirkt wie ein zeitgenössischer Sokrates auf wildestem LSD-Trip.
Auch hier wird die bisweilen aufkeimende geistige Tiefe schnell wieder dekonstruiert, zumal seine permanent in ein Megaphon gebrüllten philosophischen Versatzstücke ohnehin allesamt klare Fälle fürs Phrasenschwein sind. So ist es sicher nicht jedermanns Sache, was der dem Kollektiv O-Team angehörende Regisseur Samuel Hof da theatralisiert hat. Eine stringente Handlung sucht man hier ebenso vergeblich wie ein Auflösung bietendes Ende. Eine Klammer bildet lediglich die schwarzseherische Grundhaltung, die sich im düster-beklemmend gehaltenen Bühnenbild konsequent widerspiegelt. In Rasanz werden Themen abgehandelt wie die Angst vor dem Tod, Macht und Untertänigkeit oder wer wen fickt. Als die Schauspieler am Ende bereits abgegangen sind, ertönt noch der Klassiker Schritt für Schritt ins Paradies und Rio Reiser trällert einen Satz, der dann vielleicht doch am ehesten als Quintessenz haften bleiben könnte: „Uns trennt nichts vom Paradies außer unserer Angst“. Die vordergründige Sinnlosigkeit allen Seins und die tatsächliche Unzulänglichkeit menschlichen Strebens finden in diesen anderthalb Stunden also zu einer Synthese, die sich zwar sicher viel weniger chaotisch, aber wohl kaum unterhaltsamer auf die Bühne bringen ließe. Samuel Hof und sein Team würden das sicher unpathetischer ausdrücken und mit ihren Astronauten schlicht sagen: „Hol den Basketball. Sonst sind wir am Arsch“.

Weniger…

Samuel Hof - Regisseur & Bühnenbildner